Migration und Integration

Der politische Diskurs um Migration und Integration hat sich unter der Ägide der Großen Koalition in den vergangenen vier Jahren erheblich gewandelt, der Integrationsgipfel, die Islamkonferenz, rechtliche Verbesserungen und die Zunahme öffentlicher politischer Auseinandersetzungen haben diese Entwicklung gefördert. Erstmals konnte die grundsätzliche Einsicht, dass gelingende Integration auch und vor allem von der gesellschaftlichen Integrationsbereitschaft und der Anerkennung der Leistungen von Migranten abhängt, in der deutschen Integrationsdebatte Platz greifen. Gleichwohl lässt sich noch lange nicht davon sprechen, dass Deutschland eine Kultur der Integration entwickelt hat und sich als offenes Einwanderungsland positioniert. Bei genauerem Hinsehen ist sogar das Gegenteil der Fall: Die Integration der hier lebenden Migranten wird zwar gefördert, aber auch angemahnt, gefordert und im Falle der Nichterfüllung von Integrationsleistungen sogar negativ sanktioniert. Weitere Zuwanderung wird weiterhin überwiegend negativ bewertet und politisch wie gesellschaftlich offenbar nicht gewollt. Zudem wird eine ethisch bedenkliche Grenze zwischen den unterschiedlichen Migrantengruppen gezogen, etwa wenn bestens integrierte, jedoch lediglich »geduldete« Flüchtlinge nach häufig jahrzehntelangem Aufenthalt plötzlich abgeschoben, »ökonomisch wertvolle« und gut ausgebildete Migranten jedoch massiv angeworben werden, wobei diese Maßnahme bezeichnenderweise eine nur geringe Resonanz erfährt. Die Unterscheidung von gesellschaftlich »nützlichen« und »nicht nützlichen« Migranten, der weiterhin stark reglementierte Zugang für Asylsuchende, die Abschottung vor Zuwanderung trotz eines massiv schrumpfenden Bevölkerungsvolumens sowie die fehlenden Anstrengungen Deutschlands und Europas bei der Humanisierung des Umgang mit irregulärer Migration zeigen, dass der Bedarf an ethischer Politikberatung in der Migrations- und Integrationspolitik bestehen bleibt. Das gilt etwa auch im Hinblick auf die weitgehend ungelösten Fragen  im Zusammenhang mit der europäischen Grenz- und Asylpolitik oder hinsichtlich der bestehenden Probleme der Armut, des Hungers und des Klimawandels und den daraus resultierenden Verantwortungspflichten der Staaten des Nordens. Der notwendige Orientierungsrahmen für eine gerechte Politik der Migration und Integration ist der Kanon der Menschenrechte, deren Durchsetzung eine zunehmend wichtige, ja existenzielle Bedeutung für die Lösung von nationalen wie internationalen Problemen und Krisen gewinnt und noch gewinnen muss.